“Wir möchten, dass Kinder Kind sein können, selbst vor der Narkose im OP oder im Sterbeprozess. Ich habe mich für diese künstlerische Tätigkeit bewusst entschieden. Wenn ich immer schweren Herzens nach Hause ginge, könnte ich diese Arbeit nicht machen.”
Martina Pietsch ist ausgebildete Schauspielerin und Mutter einer 12-jährigen Tochter und eines 21-jährigen Sohnes. Als ROTE NASEN Clown Nina Pawlowna besucht sie seit sieben Jahren die kinderonkologischen Stationen der Charité in Berlin und bringt dort schwerstkranke Kinder zum Lachen. Martina Pietsch findet Freude in schwierigen Momenten.
“Wenn wir im Krankenhaus sind, treffen wir die Menschen oft in schweren Situationen an. Die Begegnungen gehen uns oft noch länger nach. Auch die freudigen: Wir freuen uns über die lebensfrohen Reaktionen der Kinder, über das Lachen, über das Schmunzeln von Erwachsenen. Das sind die Momente, an die wir uns erinnern, das sind die Erfolge unserer Arbeit. So wie das Erlebnis mit einem achtjährigen Jungen, den wir auf der Station für Stammzellentransplantation besucht haben:
Der Junge ist schon sehr lange auf der Station, schon mehrere Monate. Wir treffen ihn immer im Bett an, er darf aufgrund von Infektionsrisiko sein Zimmer nicht verlassen. Meist schaut er fern, wenn wir ihn besuchen. An einem Tag schafften wir es, dass er den Fernseher vergaß. Er spielte sogar mit uns. Er drückte den Knopf der Fernbedienung und wir froren ein – er hatte uns ausgeschaltet, um uns später wieder per Knopfdruck anzuknipsen. Magie! Er hatte solche Freude daran. Das ist das Grundprinzip unserer Arbeit: Wir geben den Kindern die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, aktiv zu handeln. Wie oft kommen fremde Ärzte oder Krankenschwestern ins Zimmer und als Kind musst du still da liegen, die Zähne zusammenbeißen und alles ertragen. Aber mit einer Fernbedienung hast du alles in der Hand, kannst die Situation beeinflussen. Der Junge hatte quasi die Macht und konnte uns, die Clowns, nach seiner Pfeife tanzen lassen!
Auf den Stationen der Kinderonkologie sind die Kinder umgeben von medizintechnischen Geräten. Wir verwandeln die Gegenstände und Apparate. Zum Beispiel begegnete uns einmal ein siebenjähriger Junge. An seinem Infusionsständer hing der Beutel mit der Chemotherapie. Wir Clowns taten so, als sei der Infusionsständer ein LKW und sagten zueinander: ‘Oh schau mal, da kommt ein LKW, schnell weg, husch, husch!’ Der Junge freute sich und spielte sofort mit. Er bewegte seinen Infusionsständer in unsere Richtung und verfolgte uns. Wir spielten in Zeitlupe, denn der Junge konnte nicht schnell laufen. Aber indem wir aus dem medizinischen Gerät einen LKW machten, konnten wir miteinander spielen.
Wir sind auch für die Eltern da. Auf der Isolationsstation der Kinderonkologie, dort, wo die Kinder eine Stammzelletransplantation hinter sich haben, sitzen manchmal Mütter und Väter in einer Art Ruheecke am Ende des Flurs. Auf der Station ist kein Platz für Gefühle, die Eltern sind rundum mit der Betreuung ihrer Kinder beschäftigt, sie müssen einfach funktionieren. Ich erinnere mich, wie meine Clownpartnerin und ich an Eltern, die dort in der Ecke saßen, vorbei gingen und wir Witze machten. Eine Mutter trank gerade etwas und da musste sie so lachen, dass sie das ganze Wasser verschüttete. Das war ein schöner, lebendiger Moment.
Wenn Eltern da sind, die lange mit ihren Kindern im Krankenhaus bleiben müssen, kommt die Liebesbeziehung komplett zu kurz. Wir bringen dann Mutter und Vater wieder zusammen: So feiern wir Clowns die Beziehung der beiden, indem wir die schönen Merkmale des einen oder der anderen hervorheben. Zum Beispiel flirte ich mit dem Vater und sage: “Ach, ich habe eh keine Chance gegenüber dieser tollen Frau!”
Und dann kommt sofort die Reaktion der Mutter: ein Lachen, ein Leuchten in den Augen, ein Schmunzeln. Wir gehen sogar manchmal so weit, dass die beiden sich aus irgendwelchen Gründen küssen sollen. Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo sie das nicht gemacht haben. Du siehst natürlich die Müdigkeit der Eltern. Das ist immer so im Krankenhaus: Das Kind ist krank, da werden dann die eigenen Bedürfnisse hinten angestellt. Durch uns erhalten Eltern spielerisch die Erlaubnis, wieder miteinander flirten zu dürfen. Es ist dann so, als ob sie uns damit einen Gefallen täten.
Das Krankenhaus ist kein Ort, wo eine schöne Atmosphäre herrscht. Es geht auf den Stationen sehr sachlich zu und das tut nicht gut. Wir brauchen auch das Freudige, Irrationale, so wie zum Beispiel beim Tanzen. Die Eltern und Kinder sind so lange im Krankenhaus. Das, was sie dort erleben, das prägt sie, das sickert so langsam in ihre Körper ein.”
Fotos: Gregor Zielke Text: Annika Seiffert