“Die Kinder sind so krank und haben trotzdem Freude am Leben”

Teilen
“Mir bereitet die Begegnung mit den Kindern und ihren Familien viel Freude. Wenn es die Kinder wollen, male ich ein kleines Bild auf das Pflaster, das ihren Broviac-Katheter, den venösen Zugang, schützt. Das finden sie toll. Sie freuen sich für einen kurzen Moment und das ist schön.”
Julia Mattarei arbeitet seit acht Jahren in der Kinderonkologie als Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sie hat zwei Kinder im Jugendalter.

“Ich habe das Gefühl, dass die Kinder, gerade die kleineren, in den Tag hineinleben. Wenn sie zur Chemotherapie kommen und es ihnen nicht so schlecht geht, dann flitzen sie mit dem Dreirad oder dem Bobbycar auf dem Flur herum. Die Eltern müssen ihnen hinterher rennen – das ist dann ein gutes Fitness-Programm für sie. Irgendwie entwickeln die Kleinen trotz der Krankheit Lebensfreude. Das ist schön zu erleben: Sie sind so krank, haben aber Freude und Spaß an ihrem Leben. Wie es den Eltern damit geht, ist sicherlich eine andere Sache.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie die Eltern die Krankheit und das ganze Drumherum so tragen, teilweise mit einer großen Gelassenheit. Die Eltern sind für uns in der Pflege eine große Hilfe. Sie wissen genau, was ihr Kind gerade braucht. Die werden richtig zu Experten, kennen die Therapiepläne und wissen genau, welche Medikamente die Kinder brauchen. Das finde ich ganz toll. Und es ist schön, immer wieder schöne Momente mit ihnen zu teilen oder von den Eltern ein Lächeln zurück zu bekommen. Es macht mir viel Freude, sie zu unterstützen und anzuleiten. Es ist schön, von den Eltern Vertrauen zu bekommen. Es gibt oft Kleinigkeiten im Alltag, Momente, die den Tag verschönern.

Einmal, da wusste ich, dass die ROTE NASEN Clowns wiederkommen. Da war ein Mädchen, die hat immer auf diesen Tag hin gefiebert. Die war auch sehr lange in der Klinik, viele Monate. Als die Clowns dann da waren, wollte ich eigentlich ins Krankenzimmer und einen Verbandswechsel machen, aber dann dachte ich: ‘Ach, das kann ich auch später erledigen.’ Als die Clowns dann weg waren, habe ich das Mädchen dann gefragt ‘Na, wie war der Clownbesuch?’. Und sie antwortete ganz hingebungsvoll: ‘Ach, war das schön. Die waren so lustig!’

Gespräch mit der Mutter des kleinen Patienten: Er darf sein Zimmer nicht verlassen - zum Glück bieten die Clowns eine willkommene Abwechslung.
Am Computer dokumentiert Julia Mattarei die Krankengeschichte der Kinder.

Nachdem ich fünf Jahre in der Neonatologie gearbeitet habe, war es eher Fügung, dass ich auf die Kinderonkologie gewechselt habe. Anfangs habe ich die verstorbenen Kinder noch gezählt. Irgendwann habe ich damit aufgehört. Ich kann nicht mehr sagen, wie viele Kinder in meinen acht Jahren dort gestorben sind. Ich wusste anfangs auch noch die Namen aller verstorbenen Kinder, weil ich sie als Menschen und nicht als medizinische Fälle in Erinnerung behalten wollte. Aber es wurden wahrscheinlich zu viele für mich, um mich an alle zu erinnern.

Glücklicherweise musste ich noch nicht so oft ein sterbendes Kind betreuen. Aber wenn, dann taste ich mich da langsam heran, ich versuche den Kontakt zu den Eltern zu halten. Ich versuche für sie etwas zu finden, damit sie ihrem Kind noch etwas Gutes tun können. Etwas, das schön und positiv ist. Wenn die Sonne scheint, dann versuche ich zum Beispiel die Familie zu animieren, mit ihrem Kind herauszugehen. Ich setze alles dafür in Bewegung, damit die Ärzte sagen: ‘Okay, du kannst die Infusion abstöpseln oder sie mitgeben’.Dann können sie hier nochmal in den Park gehen. Oder wir gestalten manchmal als Team das Zimmer des Kindes schön, mit Dingen, die es gern hat.

Der Port führt die Chemomedikation in das Venensystem.
Medizintechnik ist essentiell für die Behandlung.
Auch die Heiligenfigur wacht über den kleinen Jungen.

Es gab da ein einjähriges Mädchen, das während meines Dienstes verstorben ist. Sie hat brauchte lange, um zu gehen. Und dann suchte sie sich einen schönen sonnigen Tag dafür aus. Ich hatte das Gefühl, das die Mutter zum Schluss immer Angst hatte, ihre Tochter in den Arm zu nehmen. Sie wollte ihr, glaube ich, nicht wehtun, weil die Kleine so zerbrechlich und schwach wirkte. Ich ermunterte sie dazu, sie zu halten. Und dann saß die Mutter da mit ihrem Kind auf dem Arm, sie unterhielt sich mit ihrer Freundin, die dabei war. Das Kind lag im Arm ihrer Mama – und schlief friedlich ein. Das war überhaupt eine ganz starke Mutter. Oft hatte ich das Gefühl, dass sie uns Trost schenken wollte.

Ich bin auch zur Beerdigung gegangen. Das mache ich ab und zu, wenn die Familie dazu einlädt und ich Zeit habe. Diese Beerdigung war wirklich beeindruckend. Es waren viele Kinder dabei. Nachdem der Sarg in die Erde gelassen wurde war, schaufelte der Vater selbst das Grab zu. Ich hatte das Gefühl, dass ihm das sehr wichtig war. Die Kinder arrangierten die Blumen auf dem Grab. Ganz von selbst, ohne, dass ihnen das jemand gesagt hätte. Ich habe immer noch dieses Bild vor Augen, wie die Kinder ganz geschäftig das Grab schön gemacht haben. Das war so schön und so natürlich.

Die Kraft für meine Arbeit hole ich mir durch Gespräche mit dem Team. Dieser Austausch  untereinander ist sehr wichtig für mich. Ich tanke gerne draußen in der Natur neue Kraft, beim Wandern und Radfahren mit meiner Familie und ich liebe Musik. Auch mein Glaube gibt mir sehr viel Kraft. Die Erlebnisse, die ich als Unrecht empfinde, kann ich in Gottes Hände abgeben und das hilft mir weiterzumachen. Mit dem Priester unserer Gemeinde kann ich über Erlebnisse sprechen, die mich wirklich sehr berühren. Das ist für mich eine wahnsinnige Erleichterung. Es ist wichtig für mich, dass ich mich mit jemanden über all das unterhalten kann. Ich habe mir auch mal psychologische Hilfe geholt, denn die Arbeit in der Kinderonkologie kann schon sehr aufreibend sein.   Es gibt auch immer wieder verstorbene Patienten, an die ich häufig denke. Nicht, dass ich negative Gedanken mit ihnen verbinde. Nein, es  ja auch wichtig, an sie zu denken. Es gibt ja Leute, die sagen ‘Ich könnte da nicht arbeiten, ich könnte das nicht ertragen’. Aber ich sage mir dann, dass das alles ja trotzdem passiert, auch wenn ich die Augen verschließe. Und gerade deshalb denke ich, dass ich da ganz gut in diese Arbeit reinpasse – auch wenn ich manchmal traurig bin. Aber das ist menschlich, und ich stehe dazu.

Hygienie ist essentiell, darum trägt Julia Mattarei Mundschutz - doch auch ihre Augen können lächeln.
Zutaten für das schnelle Müsli zwischendurch.
Oft bleibt für einen Kaffee kaum Zeit.
Der Dank an das Pflegeteam kommt aus der ganzen Welt.

Uns allen im Pflegeteam ist das Wohlbefinden der Kinder wichtig. Sie haben wegen der Chemotherapie meist keinen Appetit. Dann schneiden wir eben Melonen, machen Chicken-Nuggets, backen Pizza auf – und das machen wir neben der medizinischen Versorgung zusätzlich. Aber das machen wir gerne. Wie bei einem einjährigen Mädchen, das an Leukämie erkrankt war. Sie hatte aufgrund der Chemotherapie keinen Appetit und wollte nicht essen. Da habe ich einfach das Mittagessen püriert. Dieser Brei hat dem Mädchen so gut geschmeckt, dass sie richtig reingehauen hat. Der Vater war so glücklich. Da sagte ich: ‘Dann kann ich heute glücklich nach Hause gehen, weil es ihrer Tochter heute so gut geschmeckt hat.’ Der Vater antwortete: ‘Ich hoffe, dass sie an anderen Tagen auch glücklich nach Hause gehen.’

Kuscheln tut Mama und Kind gleichermaßen gut.

Ich lerne sehr viel von den Familien und den Kindern. Seit ich in der Kinderonkologie arbeite, bin ich in vielerlei Hinsicht eine gelassenere Mutter geworden. Ich rege mich nicht mehr so über Kleinigkeiten auf: Ob die Hausaufgaben jetzt sofort gemacht wurden oder für eine Klassenarbeit gelernt wurde. Wir haben unsere Regeln, die uns wichtig sind, aber manchen Sachen renne ich nicht mehr hinterher. Dafür habe ich auch ehrlicherweise nicht mehr die Energie. Es ist tatsächlich kein Klischee, dass durch meine Arbeit in der Kinderonkologie Dinge, die mir früher wichtig waren, in den Hintergrund gerückt sind.

Bei allem Stress und auch Leid überwiegen auf jeden Fall die positiven Aspekte und Momente in meiner Arbeit. Ich möchte gar nicht woanders arbeiten. Wir haben ein sehr nettes Team, es gibt viele Leute, die ich mag, mit denen ich gerne zusammenarbeite. Auch wenn wir leider im Dienst nicht so viel Zeit haben Worte miteinander wechseln und uns manchmal kaum sehen, weil es so viel zu tun gibt – es ist trotzdem schön.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann, dass wir mehr Zeit hätten für die Versorgung und Anleitung unserer kleinen und großen Patienten. Und mehr Zeit für Elterngespräche – die finden leider oft zwischen Tür und Angel statt.  Und mehr Zeit zum Zuhören.

Fotos: Gregor Zielke Text: Sou-Yen Kim

Eine anstrengende Schicht geht zu Ende.

“Ich genieße die Sonne, den Wind und die Vögel”

Vor vier Jahren diagnostizierten die Ärzte an der Berliner Charité einen bösartigen Weichteiltumor in ihrem Oberschenkel. Seitdem unterzog sich Michelle unzähligen Operationen und medikamentösen Behandlungen, doch in all dem Leid empfand sie auch Momente der Freude. Michelle wurde 19 Jahre alt.

Teilen

“Ich hoffe auf ein Wunder.”

Die 43-jährige Simone kämpft seit drei Jahren gegen die Krebserkankung ihrer 18-jährigen Tochter Michelle. Mit ihrer Arbeit an der Kasse eines Supermarktes und in einem Bowlingscenter finanziert sie Miete, Essen, Kleidung, die Raten für die Einbauküche und versucht, Michelle und ihrer jüngeren Tochter das Leben so schön wie möglich zu machen.

Teilen

“Für eine Weile unbeschwert Kind sein”

Juliane Altenburg ist seit 2004 ROTE NASEN Krankenhausclowns. Die Pädagogin und Schauspielerin ist selbst Mutter zweier Kinder und besucht als Clown Emma-Dilemma Kinder im Krankenhaus und Senioren in Pflegeeinrichtungen. Eine Clownvisite ist niemals Routine. Sie geht zu Herzen – so wie ihre Besuche in der Kinderonkologie der Charité.

Teilen

“Wir brauchen auch das Freudige”

Martina Pietsch ist ausgebildete Schauspielerin und Mutter einer 12-jährigen Tochter und eines 21-jährigen Sohnes. Als ROTE NASEN Clown Nina Pawlowna besucht sie seit sieben Jahren die kinderonkologischen Stationen der Charité in Berlin und bringt dort schwerstkranke Kinder zum Lachen. Martina Pietsch findet Freude in schwierigen Momenten.

Teilen

“Man darf niemals die letzte Hoffnung nehmen”

Prof. Dr. Angelika Eggert wollte immer mit Kindern arbeiten. Mit dem Ziel, Kinderärztin zu werden, begann sie Medizin zu studieren. Während des Studiums merkte sie, dass Onkologie das Fachgebiet ist, das sie am meisten interessiert. Als Direktorin der Klinik für Pädiatrie m.S. Onkologie und Hämatologie an der Berliner Charité verbindet sie die Arbeit mit Kindern und ihren Familien und ihre medizinische Expertise.

Teilen

“Vielleicht bin ich an meinem Geburtstag im Krankenhaus”

Sienna ist fast elf Jahre alt. Sie tanzt gerne, mag die Musik aus den Bibi-und-Tina-Filmen und hat viele Freundinnen. Seit Frühjahr 2018 wird sie in der Charité behandelt. Bei Infekten oder einer besonders schweren Chemotherapie stationär, ansonsten in der Tagesklinik. Bald hat sie Geburtstag. Ihr größter Wunsch: Eine Einhorntorte.

Teilen

“Wenn Sienna lacht, kann ich meine Sorgen kurz vergessen”

Patrizia (36) wohnt mit ihrer fast elfjährigen Tochter Sienna, ihrem Sohn Matteo (6) und ihrem Mann Ronald in der Nähe von Berlin. Die Familie hat ein gutes Leben – doch dann leidet Sienna plötzlich tagelang unter hohem Fieber. Nach mehreren Besuchen beim Kinderarzt und Bluttests im lokalen Klinikum wird Sienna in die Charité überwiesen.

Teilen
Teilen