“In den Gesichtern der Eltern sehen wir mal Hoffnung, mal Verzweiflung. Diese Gefühlsachterbahn hält man kaum aus. Wenn die Eltern in Sorge sind und weinen, weil sie wieder eine beunruhigende Nachricht erhalten haben, dann spürt das Kind natürlich die Ängste seiner Eltern. Deswegen sind wir auch für die Eltern da. Denn wenn sich die Eltern entspannen und lachen und so kurz die Sorgen loslassen können, überträgt sich das auf das Kind. Umgekehrt ist es so, dass die Eltern einen Moment der Leichtigkeit erleben wenn sie sehen, dass ihr Kind lacht.”
Juliane Altenburg ist seit 2004 ROTE NASEN Krankenhausclown. Die Pädagogin und Schauspielerin ist selbst Mutter zweier Kinder und besucht als Clown Emma Dilemma Kinder im Krankenhaus und Senioren in Pflegeeinrichtungen. Eine Clownvisite ist niemals Routine. Sie geht zu Herzen – so wie ihre Besuche in der Kinderonkologie der Charité.
“Ich mache mir schon Gedanken darüber, wie es den Kindern geht. Wenn wir beispielsweise bei der Übergabe mit der Krankenschwester erfahren, dass ein Kind ein Rezidiv, also einen Rückfall hat. Seine Eltern sind bei ihrem Kind im Krankenzimmer und haben eben erfahren, dass der Krebs wieder da ist. Das ist schon ein Schock. Ich denke in solchen Momenten öfter: Oh Gott, wie soll ich bloß in das Zimmer hineingehen? Aber sobald ich die rote Nase aufsetze und das Kostüm anhabe, bin ich Emma Dilemma, die sehr offen und unbekümmert ist. Oftmals können wir Clowns in diesem Moment die Details der Krankheitsgeschichte ausblenden. Das ist sogar ganz wichtig. Denn wenn wir das alles im Kopf hätten, könnten wir manche Kinder gar nicht besuchen. Sonst kommt der Gedanke: Die können doch jetzt keine Clowns gebrauchen! Aber wenn unser Besuch erwünscht ist und wir das Zimmer betreten gelingt es oft, auch in schwere Situationen einen Moment der Leichtigkeit zu bringen. Manchmal teilen wir auch die Traurigkeit, sind einfach für die Menschen da.
Wir sind aber auch für die Geschwisterkinder da und das finde ich ganz wichtig. Die Geschwister leiden oft im Stillen mit. Sie machen sich Sorgen und sind durch die Krankheit des Bruders oder der Schwester oft sehr belastet. Die ganze Familie ist mit dem kranken Kind beschäftigt, daher ist es so wichtig, dass auch diese Kinder gesehen werden und dass wir ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken. Dass sie einfach mal mit uns Quatsch machen, einfach mal wieder für ein Weilchen unbeschwert Kind sein können.
In der Fantasie ist alles möglich. So wie bei unserem Erlebnis mit einem 13-jährigen Mädchen. Sie hat im Zuge ihrer Krebsbehandlung keine Haare mehr und muss nach der Stammzellentransplantation im Zimmer bleiben, hat aber eigentlich ganz normale Teenager-Interessen. Wir haben den Raum betreten und meiner Clownkollegin Nina Pawlowna und mir ist aufgefallen, dass sie Bilder mit ganz kräftigen, bunten Farben an den Wänden hatte, mit sehr viel Türkis, ihrer Lieblingsfarbe. Wir haben angefangen, Malen zu spielen und dabei die medizinischen Utensilien in Malsachen verwandelt. Ein Pappschälchen zum Beispiel war die Farbpalette und eine Zahnbürste ohne Borsten, die eigentlich dem Reinigen der Zunge dient, der Pinsel. Wir sind zu dem Mädchen gegangen und sie hat sofort mit ihrem Pinsel ohne Borsten mitgespielt: ‘Jetzt nehme ich gelb!’ Sie hat den Pinsel in das leere Pappschälchen eingetaucht und eine große, gelbe Sonne mit einem grünen lachenden Gesicht gemalt. Dabei streifte ihre Hand die von Nina Pawlowna, die plötzlich sagte: ‘Oh, jetzt habe ich grüne Fingernägel! Oh, Nagellack.’ Das Mädchen hat alle ihre Nägel grün angemalt und meine in Fantasiebunt. Sie erzählte uns, dass sie Nagellack liebt und zu Hause einen ganzen Schrank davon hat. Doch momentan darf sie ihn aufgrund der strengen Hygienebestimmungen nicht benutzen, denn Hände mit lackierten Nägeln lassen sich nur schwer desinfizieren. Wir haben dem Mädchen ermöglicht, in der Fantasie das zu machen, was sie so liebt. Das fand ich schön.
Manchmal, wenn ich nach Hause radle und an die Kinder auf der Onkologie denke, kommt mir der Gedanke: Es kann jeden treffen, auch meine Kinder. Da kommt auf jeden Fall so eine Muttersorge hoch. Ich sehe in der Onkologie sehr gebündelt wahnsinnig viele Schicksale und dann wächst in meinem Inneren die Sorge. Es ist sehr gut, dass wir Supervision bekommen, um das zu verarbeiten.
Durch meine Arbeit als Clownin erfahre ich, wie kostbar das Leben und die Gesundheit sind. Meine Ängste sind nicht unberechtigt, aber man darf sich davon nicht leiten lassen. Ich genieße jeden Tag mit meinen Kindern und freue mich jeden Tag darüber, dass sie so fröhlich und gesund sind.”
Fotos: Gregor Zielke Text: Annika Seiffert