“Ich hoffe auf ein Wunder.”

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In Gedenken an Michelle:

Simones Tochter Michelle war 17, als wir sie in der Berliner Charité kennenlernten. Zwei Jahre lang durften wir Mutter und Tochter begleiten. Simone beeindruckte uns in dieser Zeit mit ihrer Stärke und ihrer Offenheit und damit wie sie es schaffte, immer wieder positive Momente wahrzunehmen. Auch nach dem Tod ihrer Tochter findet sie es wichtig, dass über die Krankheit Krebs gesprochen wird und dass Leid und Abschied einen Platz im Leben haben. Wir erzählen einen kleinen Teil von Michelles Geschichte.


“Vor der Krankheit war Michelle ein ganz normaler Teenager. Sie war sehr zickig und unser Verhältnis ziemlich schwierig. Damals durchlebten wir eine extrem schlimme Zeit. Der Krebs hat uns zusammengeschweißt. Deswegen bin ich dem Krebs auch dankbar. Natürlich nicht dafür, dass er immer noch da ist und in Michelle sitzt. Aber dafür, dass wir wieder eine enge Verbindung zueinander haben und wir so dicht zusammengerückt sind.”

Die 44-jährige Simone kämpft mehr als vier Jahren gegen die Krebserkankung ihrer 19-jährigen Tochter Michelle. Zusammen mit Michelle und deren kleiner Schwester Meggi (13 Jahre) wohnt sie bei Berlin. Mit ihrer Arbeit an der Kasse eines Supermarktes und in einem Bowlingcenter finanziert sie Miete, Essen, Kleidung, die Raten für die Einbauküche und versucht, ihren Töchtern das Leben so schön wie möglich zu machen.

“Was andere Jugendliche von Michelle lernen können? Dass sie das Leben wertschätzen kann. Ihre Dankbarkeit und ihren Mut. Michelle ist unheimlich mutig und stark. Respekt zu haben. Respekt zu haben vor dem Leben und dem Tod. Der Krebs ist da und wir akzeptieren ihn. Aber er ist nur unser Mitfahrer und wir überlassen ihm nicht das Steuer.  Wie wir das machen? Ich glaube unser Geheimnis ist, dass wir aus jeder Situation das Positive machen.

Der Krebs ist da und wir akzeptieren ihn. Aber er ist nur unser Mitfahrer und wir überlassen ihm nicht das Steuer.

Ich versuche, ihr die Teilnahme am Leben zu ermöglichen. Wir machen viele Sachen zusammen wenn wir es schaffen, denn das ist immer eine Gratwanderung. Wenn sie etwas haben möchte, soll sie es bekommen, wenn sie irgendwo hin möchte, machen wir einen Ausflug. Irgend so etwas. Die kleinen Glückshormone müssen aktiviert sein. Wenn das Kind glücklich ist, ist der Heilungsprozess aktiviert. Und dann kann’s losgehen.

Simone und ihre Tochter Michelle warten in der onkologischen Tagesklinik auf Michelles Untersuchung.
Im Untersuchungszimmer warten Simone und Michelle auf die Krankenschwester, die Michelles Blutwerte kontrolliert.
Erneutes warten. Dieses Mal auf die Ergebnisse der Untersuchung.

Mein Alltag ist sehr schwierig. Mein Alltag besteht aus meinen zwei Jobs, dem Haushalt und den Kindern, Michelles Krankheit und der Klinik. Mein Privatleben muss ich komplett zurückstellen. Ich lebe im Prinzip für meine Kinder. Manchmal fragt mich eine Freundin, ob wir zusammen weggehen, mal rausgehen. Aber ich habe so viel im Kopf, ich kann ganz schwer herunterfahren. Der Krebs ist immer präsent, auch wenn man das gar nicht will.

Vorher hatte ich mehr Freunde, doch einige haben sich mit der Zeit zurückgezogen. Ich denke mal, das liegt nicht daran, dass es denen zu viel ist, sondern wie Michelle schon sagte, der Krebs auf einmal normal ist. Bei der ersten Diagnose haben alle um mich herum so reagiert: Oh mein Gott! Bei der zweiten: Wenn irgendwas ist, sind wir immer da. Bei der dritten: Ihr schafft das schon! Es werden immer weniger Freunde.

Ich würde mir wünschen, dass andere Menschen in mein Inneres schauen können. Ich bin ja so ein Mensch, der nicht überall hinrennt und um Hilfe bittet. Ich wünsche mir, dass die anderen einfach mal fragen: Mensch, braucht ihr Hilfe? Können wir euch irgendwie helfen?

Ich würde mir wünschen, dass andere Menschen in mein Inneres schauen können.

Ich mache ja viel im Alltag mit den Kindern alleine. Manchmal wäre doch Hilfe angebracht. Dass jemand einfach mal anfasst und mir zum Beispiel einen Schrank aufbaut. Das schlaucht ja alles mächtig. Doch die Menschen in meiner Umgebung denken, dass es mir gut geht. Dass es mir, wenn ich nichts sage, gut geht und dann ist es gut und dann ist es schön. Häufig ist es auch so, dass viele fragen, wie es Michelle geht aber vergessen zu fragen, wie es mir dabei geht. Das tut manchmal ganz schön weh, wenn man vergessen wird. Die Frage vergessen wird: Wie geht es eigentlich dir als Mutter dabei?

Michelle fällt es aufgrund ihrer Erkrankung schwer, zu laufen, doch die Pferdeweiden direkt hinter ihrer Wohnung kann sie gut erreichen.

Oft funktioniere ich einfach nur. Du kannst gar nicht anders. Wie vor einiger Zeit, als wir eine Extremsituation hatten. Michelle ging es körperlich so schlecht und ich musste ihr bei allem helfen, angefangen beim Anziehen. Da funktionierst du einfach. Das hast du schon alles im Blut. Augen zu und durch. Das geht gar nicht anders. Ich habe auch schwache Momente, die bei mir kommen, wenn die Kinder im Bett liegen. Dann fange ich an alles zu verarbeiten. ich möchte das vor den Kindern und speziell vor Michelle nicht zeigen, denn ich will sie aufrecht halten. Ich möchte nicht, dass meine schwachen Momente sie  herunterziehen.

Du sagst dir als Mutter: Mensch, ich hatte Gott sei Dank keine Fehlgeburten ich habe zwei gesunde Kinder bekommen und dann haut dir das Schicksal so richtig in die Fresse. Da bist du sauer und fragst dich: warum gerade ich? Was habe ich dieser Welt und dem lieben Gott da oben angetan, dass ich im Leben so bestraft werde. Dass ich das alles durchleben muss. Aber man sagt ja, dass nur die Starken solch ein Schicksal auferlegt bekommen. Doch warum bekomme gerade ich das auferlegt?

Simone dekoriert Michelles Geburtstagstorte. Familienmitglieder helfen bei den Vorbereitungen.
Die Kerzen auf der Torte sind angezündet - gleich kann Simone die Torte präsentieren.
Simone und ihre Nichte Mandy haben Spaß auf der Party für Michelle.
"So dick war mein Bauch, als ich mit Dir, Michelle, schwanger war!"

Das Schönste an dem Tag war für mich als sie die Kerzen von der riesengroßen Torte ausgeblasen hat. Das war sehr emotional, weil – jetzt hat man ein großes Kind. Sie ist 18 und damit volljährig. Ich habe ein großes Stück ihres Weges zusammen mit ihr geschafft, und das unter diesen Bedingungen. Da bist du stolz als Mutter.

Das Thema Tod ist leider in Tabuthema. Ich gehe damit jedoch ganz anders um. Ich habe keine Eltern und keine Großeltern mehr und pflege das Grab meiner Eltern. Ich fühle mich auf dem Friedhof sehr wohl. Ich könnte stundenlang mit einem Buch auf der Steinkante neben dem Grab sitzen und lesen. Ich sehe das so: Wenn man stirbt, zieht man nur in einen anderen Raum um. Der Mensch, der gestorben ist, ist nicht weg sondern nur umgezogen. Deswegen gehe ich mit dem Tod anders um als andere. Das konnte ich schon immer. Ich fühle mich dem Tod ganz anders als andere verbunden.

Ich möchte nicht, dass die Leute in schwarz zur Beerdigung kommen. Ich möchte, dass die Leute bunte Kleidung anhaben und Luftballons in den Himmel steigen lassen.

Was mir auf der Seele brennt? Zu sagen, dass man nie aufgeben soll. Aufgeben ist die letzte Option. Für alle. Ich glaube zwar nicht an den lieben Gott, aber an Übernatürlichkeit habe ich schon immer geglaubt. Ja, ich hoffe auf ein Wunder. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt, oder?“

Im Spätsommer 2019 eröffnet die Palliativärztin Michelle und Simone, dass Michelle nur noch wenige Wochen zu leben hat. Einer von Michelles letzten Wünschen ist eine Feier, bei der sie sich von allen, die ihr wichtig sind, verabschieden kann. Simone organisiert zusammen mit Familie und Freunden eine Party mit Harry Potter – Motto. 40 Gäste, Kinder und Erwachsene, kommen, um Michelle noch einmal zu sehen.

Zuhause pflegt Simone Michelle, damit sie nicht in ein Hospiz muss. Tagelang hat Simone mit Freunden und Familie das Abschiedsfest für Michelle vorbereitet.
Die goldenen Schnatze sind selbstgebastelt.
Die Regeln für die Party im Bürgerhaus Wildau.
Die Zauberpflanze Alraune - nachgebildet aus Marzipan.
Was schreibt man auf eine Abschiedskarte?

„Viele Leute die gesund sind, nehmen die Natur und die Menschen um sich herum als selbstverständlich wahr und erst, wenn das Leben zu Ende geht, ändern sie plötzlich ihre Lebenseinstellung. Das musst Du schon im Voraus machen. Die Menschen sollen das Leben als ein Geschenk sehen”. Das lernte Simone während Michelles Krankheit. Die letzten Wochen pflegen Simone und Michelles Freund Damian, mit dem sie seit Frühling 2019 zusammen war, Michelle zuhause. Am 15. Oktober stirbt Michelle um fünf Uhr morgens in Simones Armen. Sie wurde 19 Jahre alt.

Michelle wollte, dass ihre Beerdigung laut und bunt ist. So kommt Simone ihrem Wunsch nach einer “Luftbestattung” nach. Die Trauernden fahren mit Michelles eingeäschertem Körper in die 4,5 Stunden entfernte Stadt Hrušovany. Hier wird Michelles Asche nach einer Trauerfeier mit einer Rakete und Feuerwerk in den Himmel geschossen.

Nach der Trauerfeier wird Michelles Asche mit einer Rakete in den Nachthimmel geschossen.
Michelle war es wichtig, dass Simone die Trauerrede hält:

“Möchtest du ein Hörspiel hören?” Mit halbgeschlossenen Augen nickt sie es ab. “Ich mach dir Herr Fuchs und Frau Elster an. Das hast du als kleines Kind immer so geliebt.” Wieder nickt sie dazu. Sie murmelt unverständliche Worte, es ist mit viel Anstrengung verbunden. Sie zieht an ihrer Decke. Ich decke sie ordentlich zu, achte darauf, dass ihr warm genug  ist und sie bequem liegt. Die Medikamente tun ihrer Wirkung, sie laufen unaufhörlich über die Schmerzpumpe in sie hinein. Sie hat keine Schmerzen. Ich fahre das Pflegebett etwas runter damit ich sie erreiche. Ich streichel über ihren Kopf und bemerke wie viele Haare wieder gewachsen sind. Sie riechen gut und sind schön weich. So sehr ich mich auch über ihrer Haarpracht freue, wird die Freude von tiefer Trauer überschattet. Ich wünschte, sie hätte noch einmal ihre Löwenmähne tragen können. Ich gebe Michelle einen dicken Kuss auf die Stirn. “Ich hab dich lieb!”…”Ich hab dich auch lieb Mama!” Das sind die letzten Worte, die ich von ihr zu hören bekam. Man hört in ihrem Zimmer nur ihre schweren aber gleichmäßigen Atemzüge und das Hörspiel. Die Medikamente tragen Michelle weit weg von uns. Sie wandelt schon in der Zwischenwelt. Die Zeit des Wartens beginnt. Michelles Inneres kämpft mit dem Tod. Ich kann ihr nicht helfen, ich kann nur da sein. Meine Gedanken kreisen ohne Ende, ich habe große Angst vor dem was noch passiert.   

Michelles Freund Damian reiste schon vor Wochen an. Er brach all seine Zelte in seiner Heimatstadt Borken ab als ich ihm die schlechten Nachrichten überbrachte, dass Michelle nur noch wenige Wochen zu leben hat. Seit einem halben Jahr sind sie ein Paar. Er ist ebenfalls 19 und will sie bis zum Schluss begleiten. Ihre Liebe ist stark. Michelles Krankheit schweißt sie fest zusammen. Michelle liebt ihn über alles, er ist ihr ganzer Halt. Sie hat ihre große Liebe gefunden, sie ist glücklich. Auch ich als Mutter bin sehr glücklich darüber denn er ist ein guter Junge, so anständig, höflich und hilfsbereit. Damian kommt aus einen guten Elternhaus. Seine Eltern, die beiden Brüder und auch die Oma mögen Michelle. Das nenne ich mal Erfolg auf ganzer Linie. Damian und ich verstehen uns wunderbar. Wir können supertolle Gespräche führen und trotz der Situation auch mal lachen. Das alles macht es für uns beide etwas erträglicher. In unserer Familie ist er gut angesehen. Er wird von allen hier geliebt. Seit Wochen pflegen wir zusammen Michelle. Er nimmt mir viel im Haushalt ab, ohne ihn würde ich hier zusammenbrechen. Damian und ich haben in den letzten zwei Tagen sehr wenig gefühlt und fast gar nicht  geschlafen. Mein Gott…ich bin so unfassbar müde und erschöpft. Viereinhalb Jahre Krankheit setzen einem zu. Ich bin ausgebrannt. Aber ich kann und darf jetzt nicht schlafen. Abwechselnd schauen wir nach Michelle. Er sitzt an ihrem Bett und streichelt sie. Ich lass die beiden allein. Ich hoffe inständig, dass sie seine Berührungen noch tief im Unterbewusstsein wahrnimmt und sie mit in die Unendlichkeit trägt. Wenn sie doch beide nur mehr Zeit gehabt hätten. Ich könnte weinen bei diesen Gedanken. Es tut mir so unendlich leid für die beiden. Michelle schläft tief und fest und ist nicht mehr ansprechbar….

Wir versammeln uns alle im Wohnzimmer um Myriam. Sie kam vor einigen Tagen zu uns nach Wildau. Myriam wird uns begleiten bis Michelles Zeit abgelaufen ist. So war es Michelles Wunsch. Beide zusammen verbindet die Krankheit. Sie ist Michelles großes Vorbild, sie schaut zu ihr auf. Kaum einer versteht sie so gut wie Myriam. Sie packt mit an wo es geht. Wir führen viele Gespräche über den Sterbeprozess und mit ihr an meiner Seite fühle ich mich etwas sicherer und habe ein bisschen weniger Angst vor dem Finale. Ich bin unendlich dankbar, sie an meiner Seite zu wissen. Sie blieb jeden Abend bis tief in die Nacht hinein und half uns mit bei der Pflege. Michelle und Myriam haben eine besondere Bindung. Sie sieht in ihr eine Ziehtochter, in ihrer rebellischen und manchmal bockigen Art erkennt  Myriam sich selbst als Jugendliche oft wieder. Liebevoll nennt sie Michelle ”ihre Zicke”. Es entstand im Laufe der Zeit eine innige Freundschaft. Mit und durch Myriam sah sie in ihren kleinen Leben ein Stück der großen weiten Welt, kleine und große Lebensträume erfüllten sich. Myriam erfüllt schwerkranken Menschen ihre Letzten Wünsche. Sie verlangt nichts dafür, aber sie ist überglücklich wenn sie diesen kranken Menschen ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubern konnte und für einen Moment Leid und Schmerz vergessen ist.  Diesmal helfen kein Zauber und kein Wunsch mehr. Michelle weiß, dass sie Myriam diesmal zum allerletzten Mal sehen wird. Diese Nacht wird sie es nicht mehr ins Hotel schaffen….

Mandy kommt vorbei, wie die letzten Tage zuvor. Sie berichtet mir kurz wie es Meggi geht und isst mit uns. Meggi hatte ich zu Mandy geschickt. Sie möchte nicht bis zu ihrem Ende dabei sein. Zulange sieht sie schon ihre kranke Schwester vor sich und leidet sehr darunter. Der Gedanke, das Meggi bald ein Einzelkind ist, zerreißt mich innerlich. Ich habe Angst, dass sie den Tod ihrer Schwester nicht verkraftet. Michelles jetziger Zustand setzt Mandy stark zu und doch möchte sie für uns stark sein. Es fällt ihr sehr schwer, sich von Michelle zu verabschieden. Mandy war all die Jahre von Michelles Krankheit da, hat uns immer unterstützt, sowie auch der Rest unserer Familie. Ihr Leitspruch ist immer: ”Blut ist dicker als Wasser.” Unser Familienzusammenhalt ist sehr stark.  Immer wieder schauen wir alle nach Michelle. Auch wenn sie schon weit weg von uns ist, sehe ich ihr den Kampf gegen den Tod an. Nach viereinhalb Jahren sind wir nur noch Schatten unser Selbst, ausgebrannt von allem. Was muss das Kind alles ertragen!!! Zurück im Wohnzimmer schaue ich mir Bilder von Michelle an und stelle fest, dass ich mein eigenes Kind kaum widererkenne. “Wer oder was ist das, was dort drüben im Zimmer in diesem Bett liegt”, frage ich die anderen. Alle schütteln mit dem Kopf und können es selbst kaum begreifen. Ich bin so wütend auf diese Krankheit, die mein Kind komplett zerstört hat. Er hat ihr alles genommen. Ihr wunderschönes Aussehen, ihre Zukunft, ihr ganzes Leben.

Es ist schon nach Mitternacht. Mandy verabschiedet sich, sie will  früh morgens wieder herkommen nachdem die Kinder in Schule und Kita sind. Stunden später wird sie eine schlechte Nachricht von Myriam auf ihrem Handy lesen…

“Simone…geh doch mal zwei Stunden schlafen”, sagt Myriam und streicht mir über mein Rücken. ”Es bringt doch nichts, wenn du mir hier zusammenbrichst.” Ich bin an Michelles Bett eingeschlafen. Der Kaffee hat seine Wirkung verfehlt, den ich vorher trank. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, wir sind alle an unseren Grenzen gelangt. Widerwillig begebe ich mich in mein Bett. Damian schläft schon seit kurzer Zeit. Komplett angezogen lasse ich mich auf mein Bett fallen. Myriam bleibt noch kurz bei Michelle  und will dann auch mal ein paar Stunden ins Hotel fahren zum Schlafen. Ich schaffe es noch mir den Wecker auf zwei Stunden später zu stellen und schlafe daraufhin ein. Es ist nicht mein Wecker, der mich wach macht, sondern Myriam. “Simone du musst schnell kommen!!!” ruft sie an mein Bett stehend. Ich springe auf, mir dreht sich alles. Ich laufe ihr schnell in Michelles Zimmer hinterher. Ich habe es zum Glück noch rechtzeitig geschafft bei ihr zu sein. Zu diesem Zeitpunkt hat schon Michelles Puls  in Myriams Händen aufgehört zu schlagen und die Atmung hatte schon ausgesetzt. Weinend nahm ich Michelles Gesicht in meine Hände, sie holte noch einmal Luft und dann ging sie von uns.

Gestützt von Myriam und Damian, ließ ich den Tränen freien Lauf. Wir zündeten die Kerzen an und öffneten weit das Fenster. Nie wieder Schmerzen, nie wieder Behandlungen. Ich habe mein Versprechen von vor über 4 Jahren eingehalten. “Ich lasse dich niemals allein. Wir ziehen das gemeinsam durch, vom ersten Schritt bis zum letzten Atemzug.” Michelle du bist jetzt FREI!!!              

Unsere Reise hat nun hier ein Ende gefunden, auch wenn es für uns kein erhofftes Wunder gab. Wir haben aus einer schlechten Sache etwas Positives gemacht. Unser Band als Mutter und Tochter hat uns fest zusammen geschweißt. Familie und Freunde haben uns immer bei allem unterstützt. Wir haben Menschen kennengelernt, die zu Freunden wurden. Wir durften Dinge erleben, die nicht selbstverständlich sind. Unsere letzten vier Jahre bestanden aus Überraschungen, Abenteuer, Freude, Liebe und Leid. Und doch haben wir es geschafft, ein Stück vom Ganzen zu leben und wir, die Michelle hinterlassen hat, wir werden weiterleben. Wenn nicht heute oder morgen aber dann irgendwann. Ich weiß, dass die Bilder und Erinnerungen an Michelle bleiben werden. Jeder von euch trägt sie mit sich im Herzen, tief und sicher verwahrt. Wenn die Menschen auch sterblich sind, die Geschichten, die wir mit ihnen erlebt haben, die sterben nicht. Michelle wird immer bei uns sein, wir werden sie niemals vergessen. Ein Teil von meinem Herzen wird für immer fehlen. Niemals wird man es reparieren können. Diagnose… UNHEILBAR!!!!!!!!!! In Liebe und Dankbarkeit  deine Mama.”

Fotos: Gregor Zielke Text: Annika Seiffert

“Ich genieße die Sonne, den Wind und die Vögel”

Vor vier Jahren diagnostizierten die Ärzte an der Berliner Charité einen bösartigen Weichteiltumor in ihrem Oberschenkel. Seitdem unterzog sich Michelle unzähligen Operationen und medikamentösen Behandlungen, doch in all dem Leid empfand sie auch Momente der Freude. Michelle wurde 19 Jahre alt.

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“Für eine Weile unbeschwert Kind sein”

Juliane Altenburg ist seit 2004 ROTE NASEN Krankenhausclowns. Die Pädagogin und Schauspielerin ist selbst Mutter zweier Kinder und besucht als Clown Emma-Dilemma Kinder im Krankenhaus und Senioren in Pflegeeinrichtungen. Eine Clownvisite ist niemals Routine. Sie geht zu Herzen – so wie ihre Besuche in der Kinderonkologie der Charité.

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“Wir brauchen auch das Freudige”

Martina Pietsch ist ausgebildete Schauspielerin und Mutter einer 12-jährigen Tochter und eines 21-jährigen Sohnes. Als ROTE NASEN Clown Nina Pawlowna besucht sie seit sieben Jahren die kinderonkologischen Stationen der Charité in Berlin und bringt dort schwerstkranke Kinder zum Lachen. Martina Pietsch findet Freude in schwierigen Momenten.

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“Man darf niemals die letzte Hoffnung nehmen”

Prof. Dr. Angelika Eggert wollte immer mit Kindern arbeiten. Mit dem Ziel, Kinderärztin zu werden, begann sie Medizin zu studieren. Während des Studiums merkte sie, dass Onkologie das Fachgebiet ist, das sie am meisten interessiert. Als Direktorin der Klinik für Pädiatrie m.S. Onkologie und Hämatologie an der Berliner Charité verbindet sie die Arbeit mit Kindern und ihren Familien und ihre medizinische Expertise.

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“Die Kinder sind so krank und haben trotzdem Freude am Leben”

Als Gesundheits- und Krankenpflegerin arbeitet Julia Mattarei in einem extremen Umfeld. Täglich begegnen ihr Leid, aber auch Freude. Die Mutter zweier Jugendlicher betreut seit acht Jahren die Kinder und Familien auf der Kinderonkologie der Berliner Charite gesundheitspflegerisch – und seelisch. Eine Arbeit, die berührt.

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“Vielleicht bin ich an meinem Geburtstag im Krankenhaus”

Sienna ist fast elf Jahre alt. Sie tanzt gerne, mag die Musik aus den Bibi-und-Tina-Filmen und hat viele Freundinnen. Seit Frühjahr 2018 wird sie in der Charité behandelt. Bei Infekten oder einer besonders schweren Chemotherapie stationär, ansonsten in der Tagesklinik. Bald hat sie Geburtstag. Ihr größter Wunsch: Eine Einhorntorte.

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“Wenn Sienna lacht, kann ich meine Sorgen kurz vergessen”

Patrizia (36) wohnt mit ihrer fast elfjährigen Tochter Sienna, ihrem Sohn Matteo (6) und ihrem Mann Ronald in der Nähe von Berlin. Die Familie hat ein gutes Leben – doch dann leidet Sienna plötzlich tagelang unter hohem Fieber. Nach mehreren Besuchen beim Kinderarzt und Bluttests im lokalen Klinikum wird Sienna in die Charité überwiesen.

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